Martin Petzoldt, Einige Gedanken zu dem Zusammenhang von Jahres-, Wochen- und Zeiteinteilung:
Das christliche Verständnis orientiert sich am biblischen Verständnis der Jahres-, Monats- und Wocheneinteilung, dem das jüdische z.T. auch folgt. Dafür ist grundlegend das Siebentageschema der Woche nach dem ersten Schöpfungsbericht (Gen 1; 1-2, 4a).
Nimmt man also das Siebentages-Schöpfungsschema – wie die kulturgeschichtliche Entwicklung es tat – als Grundlage an, so liegt auf den einzelnen Schöpfungstagen je ein wesentliches Schöpfungswerk Gottes (das könnte man einer ökologisch-christlichen Ethik heute zugrundelegen, was sehr plausibel wäre!); allein der 7. Tag wird aus der Reihe der Schöpfungswerke herausgehoben, indem er als Ruhetag Gottes - nicht nur für Gott selbst, sondern zugleich eine für seine Schöpfung sich erweisende Bedeutung hat: die Ruhe, die Gott selbst sich einräumt, wird auf seine Schöpfung übertragen!
Nicht nur der siebente Tag erhält seine Bedeutung – z.B. im 3. Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen“ –, sondern auch die Errechnung von 7 x 7 Jahren (= 49 Jahren), denen regelmäßig ein sogenanntes Jobél-Jahr folgte, das 50. Jahr. Für dieses gibt es die Bestimmung, daß die Ruhe, die den Menschen, dem Vieh und den fruchttragenden Äckern einmal in der Woche gegönnt wurde (ausgeweitet auf schützende Bestimmungen für unterstellte und abhängige Menschen), im Jobél-Jahr erweitert wird auf Bestimmungen wie Amnestie für Gefangene, Rückgabe von Besitztum, das jemand aus Not veräußern mußte (lebt heute der Sache nach noch fort in den geltenden Bestimmungen der sog. „Erbpacht“: nach 99 Jahren oder Ähnliches), Brachlegen von Feldern usw. (vgl. dazu Bach-Kommentar Bd. II zum Stichwort „Jubeljahr“: S. 267).
Hinzutritt die Beurteilung der Schöpfungswerke – „und siehe, es war alles sehr gut“ – und das ausdrückliche Festhalten ihrer Qualität für Mensch und Mitwelt, was eine Grundlage wiederum für Ethik ist, nämlich die Beauftragung enthält, mit den Schöpfungswerken „gut“ und „dankbar“ umzugehen.
Das junge Christentum bezieht sich auf die jüdische Abfolge der Tage im Zusammenhang mit der Kreuzigung und Auferstehung Jesu: Kreuzigung am Tag vor dem Sabbath (= Sonnabend), d.h. dem Rüsttag des Sabbaths, und vor dem Pessach-Fest (= Ostern); Auferstehung Jesu (fällt mit dem Pessach-Fest zusammen) am ersten Tag der Woche, also Sonntag, der nun zum Feiertag wird und die Bedeutung des 3. Gebotes auf sich zieht. Der erste Tag der Woche erhält seinen besonderen Charakter in der nun eintretenden Gleichzeitigkeit der Erinnerung an den ersten Schöpfungstag und der Erinnerung an den Tag der Auferstehung Jesu als grundlegendem Ereignis der Neuschöpfung (Bedeutung der Taufe, Bedeutung des Glaubens als Mittel der Neuschöpfung: „Sind wir in Christus, so sind wir eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen, siehe es ist alles neu geworden“, 2Kor 5,17).
Da bis vor wenigen Jahrzehnten der Sonnabend Arbeitstag wie jeder andere war, konnte sich die christliche Wochenrechnung noch ganz gut bis ins 20. Jahrhundert halten. Die Minderung der Arbeit am Sonnabend um den Nachmittag (m.W. in der Mitte des 20. Jh.s, spätestens nach dem 2. Weltkrieg) läutete im Grunde das ein, was wir heute als „Wochenende“ bezeichnen (Sonnabend und Sonntag). Die „Ruhe“ des 7. Schöpfungstages, die das Christentum auf den 1. Schöpfungstag verlegte, ist sukzessive zeitlich nach rückwärts erweitert worden, d.h. auf den Sonnabend.
Für die Bachzeit gilt noch uneingeschränkt das in der frühen Christenheit sich herausbildende Wochenschema, bei dem die Woche mit dem Sonntag beginnt und mit dem Sonnabend schließt. Z.B. sieht man das an der geltenden Wocheneinteilung durch Gottesdienste:
Sonntag: Hauptgottesdienst in allen Kirchen (7 Uhr), Mittagspredigt wöchentlich wechselnd in Thomas und Nikolai (11.30 Uhr), Vespergottesdienst in allen Kirchen (13.30 Uhr);
Montag bis Freitag: Morgengottesdienst wechselweise in den beiden Hauptkirchen (6 Uhr), Mo/Mi/Fr in St. Nikolai, Di/Do in St. Thomas; unberücksichtigt bleiben die sogenannten Betstunden am Nachmittag dieser Tage;
Sonnabend: kein Morgengottesdienst, aber Vespergottesdienst in beiden Hauptkirchen (13.30 Uhr).
Das Evangelium des Sonntags bestimmt gleichsam das geistliche Thema der Woche – unabhängig von weiteren Feiertagen (Hohe Feste, Wochenfeiertage usw.), die ohnehin nicht wie der Sonntag als arbeitsfreie Tage begangen wurden. Diesem Thema widmet sich jede der Kantaten Bachs, sofern sie Sonntagskantaten sind. Insofern machen auch die Feiertagskantaten – nicht immer – eine bedeutsame Ausnahme, insofern sie oft das „geistliche Thema“ eben nicht ausschließlich biblisch und madrigalisch vortragen, sondern biblisch-historienabhängig (vgl. Weihnachts-, Oster- und Himmelfahrtsoratorium, aber auch einzelne Kantaten zu den Marientagen und dem Johannistag, sowie die Passionen).
Die heutige Charakterisierung von Sonnabend und Sonntag als Wochenende hat nun auch die Überzeugung produziert, daß die Woche mit Montag beginnt. Dahinter verbergen sich natürlich die Redundanzen der Arbeitsabläufe, ihrer Praktikabilität und Rentabilität, insbesondere der Einsatz kostspieliger Maschinen und Geräte, die in der Regel (sieht man von dem inzwischen üblichen Schichtbetrieb auch über das „Wochenende“ ab) freitags abgestellt und montags wieder angestellt werden – Vollzüge, die sich auch als erhebliche Kostenfaktoren erwiesen haben.
Dieser Entwicklung entspricht nun auch die stärkere Durchrechnung des Jahres. Ich kann mich nicht erinnern, daß in meiner Kindheit jemand die Wochen nach ihrer Ordinalzahl im Jahreslauf benannt hätte (also 6. oder 23. Woche). Für die bäuerliche und handwerkliche Welt genügte völlig der Rhythmus der Jahreszeiten und der Bezug auf bestimmte Tage des Kirchenjahres und des Heiligenkalenders (vgl. die Bauerregeln). Zudem waren noch bis ins 19. Jahrhundert nicht die natürlichen Jahreszeiten als Quartale Rechnungstermine, sondern Zwischentermine, die wir heute gar nicht mehr kennen:
Quartal Reminiscere, Laufzeit von Donnerstag nach Luciae bis Mittwoch vor Reminiscere;
Quartal Trinitatis, Laufzeit von Donnerstag vor Reminiscere bis Mittwoch vor Trinitatis;
Quartal Crucis, Laufzeit von Donnerstag vor Trinitatis bis Mittwoch nach Crucis;
Quartal Luciae, Laufzeit von Donnerstag nach Crucis bis Mittwoch nach Luciae.
Lucia ist der 13. Dezember, Reminiscere der 2. Sonntag der Passionszeit, Trinitatis der Sonntag nach Pfingsten, Crucis der 14. September.
Bach ist z.B. nach diesen alten Quartalen bezahlt worden. Würde man diese Quartale nach Tagen durchrechnen, käme man auf verschiedene Längen, doch das störte niemanden, da ja die Summe der Einkünfte aller vier Quartale das Jahresfixum ausmachen. Z.B. kennen wir beim Wechsel Bachs von Arnstadt nach Mühlhausen, daß es besonderer Entscheidung bedurfte, ihm Resttage zu finanzieren.
Leipzig, im Juli 2010, Martin Petzoldt